Burgfrollein auf Storchenjagd - Unterwegs in Deutschlands Bullerbü

Storchfreuden in Rühstädt an der Elbe

Rühstädt, ein winziges Dorf im Nordwesten der Mark Brandenburg im UNESCO Biosphärenreservat gelegen und unweit der Stelle, wo Havel und Elbe sich küssen, war mir bis vor zwei Wochen komplett unbekannt. Das ist erstaunlich, weil es sich doch schon längst hätte herumsprechen müssen, dass Rühstädt die Ursache ist, warum im Osten Deutschlands viel mehr Kinder gebracht gemacht werden als im Westen, aber dazu später.

Wenn Havel und Elbe sich küssen,
dann müssenmüssenmüssen
sie ganz ganz fein
behutsam sein...

Die kleinen Elbdörfer hier in der Prignitz, in der auch Rühstädt liegt, mit den vielen alten Steinhäusern, Bauernhäusern und Fachwerken und den vielen Obstbäumen an den Straßen und Alleen, die vermutlich genau wie im Havelland auf den Alten Fritz zurückgehen, finde ich unwahrscheinlich charmant.



Obstbäume, Fachwerk, alte Scheunen... Deutschlands Bullerbü

Die meisten Orte in dieser Gegend haben das Elbehochwasser gut überstanden, was einerseits an den schon lange bestehenden Dämmen liegt, denn dieses Gebiet wurde seit jeher von der Elbe überschwemmt, und andererseits profitiert die Gegend von den Optimierungen des Hochwasserschutzes, der gute Arbeit leistet und in vielen Bereichen den Schutz auf intelligente Weise mit Renaturierungsmaßnahmen verbindet.

Mein Guide Katarina, ein wahres Lexikon, egal, ob es um Kulturgeschichte, Umwelt, Geologie, Architektur oder einfach um das Alltagsleben in der Prignitz geht, stopft mich mit Katalogen und Wissen voll, dass mir ganz schwindelig wird, weiß aber auch ganz genau, wie sie mich ins Schwärmen bringt. Ich habe keine Ahnung, wann ich über all die interessanten kleinen nachhaltigen Projekte in der Gegend berichten soll, heute geht es jedenfalls erst einmal um Rühstädt und das "Landschloss", in dem ich zusammen mit dem Mann übernachten darf.
Vor der Ankunft wird noch schnell mit der Schlossherrin telefoniert, die nebenbei ihren Hund zu versorgen hat und das Schloss dann auch mal kurz - ganz auf Vertrauensbasis - ihren Gästen überlässt.

Schlosshotel Rühstädt

Die Geschichte des Schlosses bzw. der früher hier stehenden Burg ist lang und beinhaltet ordnungsgemäßg einen Schlossbrand sowie die Plünderung nach dem Krieg und die Nutzung als Altenheim in der DDR, so dass das heutige Schloss nichts mehr mit dem eigenen Ursprung gemein hat und im Innern, neben recht pompösem Stuck und Interieur, ein charmant-wirres Sammelsurium verschiedener Stilstücke aus verschiedenen Jahrhunderten beinhaltet, die mich alle irgendwie an Adelsgeschlechter oder Burgfräuleins erinnern.

Unser Zimmer ist - und ich weiß nicht, ob mich das nun überrascht oder eher meine Erwartungen erfüllt - das hübscheste Hotelzimmer, in dem ich je übernachten durfte - ein Schlosszimmer eben. Hohe Decken, schwere Vorhänge, der alte Holzsessel… Außerdem haben wir einen Blick über den gesamten Schlosspark, was mir gleich ein holladiewaldfee-erhabenes Gefühl gibt.
Dass sich der heutige Hotelbetrieb für die Besitzer rechnet, wage ich zu bezweifeln und vermute, dass es sich hier um ein echtes Liebhaberhobby handelt.

Für einen gemütlichen Abhäng-Abend ist allerdings keine Zeit, denn der "Storchenfeierabend" wartet auf uns: Rühstädt ist als europäisches Storchendorf ausgezeichnet und veranstaltet in den Sommerwochen jeden Samstag bis zum Abflug der Störche im August Führungen für Touristen. An der letzten in diesem Jahr dürfen wir heute teilnehmen.

Die Eltern erkennt man am roten Schnabel - die Jungen haben noch dunkelgraue.

Nach einem kleinen Plausch mit Dips und Einführungsgeplauder mit Cordula und Jütte von der Naturwacht geht es durchs Dorf. Auf fast jedem Dach des kleinen 240-Einwohner-Dorfes ist ein Storchennest, die meisten sind besetzt und an den Schildern jeweils unten am Zaun wird dokumentiert, wann das Männchen kam und wann das Weibchen.

Bei jedem Nest wird dokumentiert, wann Männchen und Weibchen eintrafen und wie viele Jungen heranwachsen.

Da kommt ein Elternteil zum Füttern. Dem Storch ganz vorne ist wohl das Nest zu voll geworden.

Männchen sind in der Storchenfamilie nämlich die Housekeeper, die nach der langen Abwesenheit erstmal das Zuhause aufräumen. Die Dame des Hauses wird dann - nach gründlicher Inspizierung - das Nest hoffentlich genehm finden und sich niederlassen, woraufhin ordentlich und mehrfach am Tag kopuliert wird, bis die Eier undsoweiterundsofort. Dass sich das Paar nach einem tausende Kilometer langem Weg hier am Nest wiedertrifft, finde ich unglaublich.
Anfang August sind die Jungen nun schon groß, lassen sich aber immer noch füttern. "Hotel Mama" funktioniert hier eben auch, allerdings sind die Eltern so schlau, die Jungen immer seltener zu füttern, die sich daher ihr Futter mehr und mehr selbst suchen müssen. Irgendwann in diesen Tagen werden sie dann nach Süden fliegen - zuerst die Jungen, dann die Eltern.

Es ist schon zu dunkel, um vernünftige Fotos hinzubekommen, wir genießen daher die Ansichten und Erzählungen der beiden Guides, die - wie mir scheint - jeden einzelnen Storch per Handschlag kennen. Achso geht das, denke ich. "Liebe Wessies..."

Bezaubernd auch am Abend, wo mein nicht-lichtstarkes Objektiv allerdings versagt.
Ein paar letzte Abendbilder von den Störchen.
Bleiben ihr Leben lang zusammen. Öhm, naja, allerdings nur, wenns mit dem Nachwuchs klappt. Ist wie bei den Pinguinen.

Als ich am nächsten Morgen mit Prinzessinnengefühl aufwache, mich erhaben aus dem übergroßen Bett gen Fenster räkele und mich dem Schlosspark zuwende, erfasst mein Augenaufschlag - graues Nieselwetter. Schiete.

Prinzessin-ich-tu-mal-so

Wir entscheiden uns daher, auf die Radtour durch die Elbtalauen zu verzichten und lieber noch einmal ein paar Störche abzuschießen.

Sie sehen so erhaben aus!
Diese Spannweite!
Das Nest wird gelegentlich gegen Kuckuckskinder mit ordentlichem Klappern verteidigt.

Besonders gut geht das vom kostenlosen Aussichtsbalkon, der Tag und Nacht für jeden geöffnet ist.  
Ob es nie Stress gäbe, habe ich mich schon gestern Abend gewundert. Es gibt keinen Aufpasser, die Scheune ist uralt und Innen aus Holz.

Kostenloser Storchen-Aussichtspunkt in Rühstädt

Als Berlinerin fallen mir natürlich sofort zündelnde Gören und gröhlende Twens ein. "Nein", sagt Jütte, "hier passen doch alle gemeinsam auf, der Balkon ist ja von vielen Häusern gut zu sehen".

Das Storchendorf Rühstädt mit ... fast unzählbaren Storchennestern. Es waren 42 besetzte, wenn ich mich recht erinnere.

Meine Güte, da wundert mich der Vertrauens-Honigverkauf an der nächsten Straßenecke auch gar nicht, bei dem die Kasse einfach so daneben steht. Jaja, einige Menschen behaupten ja, Vertrauenskassen gäbe es nur noch in Norwegen… nix da, das gibt es quasi vor den Toren Berlins!

Anschließend beschlauen wir uns einmal mehr von einer netten Naturwachtmitarbeiterin im Besucherzentrum des NABU Brandenburg. Was mir besonders gefällt an der Naturwacht: Ursprünglich als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme mit Umwelt-Faktor geschaffen, hat sie heute sehr engagierte und wie mir scheint von ihrer Arbeit begeisterte Mitarbeiter. Naja, kein Wunder, ich bin - ehrlich gesagt - ein bisschen neidisch: Viel draußen sein, mit Natur, Mensch und Tier arbeiten...
Und na klar, bilderbuchmäßig hängen hier natürlich die Schwalbennester im Innenhof herum.


Ich frage mich ein bisschen, ob man mich hier verkohlt und wenigstens ein paar Sachen für die Bullerbü-Kulisse aufgebaut hat. Außerdem wurde ganz offensichtlich Petrus bestochen, denn das Wetter klart auf.

Und dann geht es schon wieder weiter, ins nächste Elbdorf, in die Hansestadt Havelberg, die zwar irgendwie zur Prignitz gehört, aber doch schon in Sachsen-Anhalt liegt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Elbtalauen sind wunderschön und besonders für Fahrradfahrer geeignet.
"Knotenpunkt" 42: Das Knotenpunktsystem ist vor allem für Fahrradfahrer eingeführt worden. Mehr Infos unter
www.radlerparadies-prignitz.de
Lieblingsbild: Prignitzer Bullerbü


TTT - TierischeTouriTipps


Unterkommen:
Unternehmen:
Essen:

Ein herzliches Dankeschön an den Tourismus Prignitz e.V. für die Einladung und besonders an Katarina, die mir unermüdlich die allerschönsten Seiten dieser Region zeigte und meinen Bildungsquotienten sicherlich um 8 Punkte anhob.   

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