Auszug aus einem Trekkerleben: Torres del Paine, Chile, 6. Tag

Nationalpark Torres del Paine, Circuito Grande, Chile
Ausblick am ersten Tag des Cirquito Grande, Nationalpark Torres del Paine
Mein Schlafsack stinkt. Beziehungsweise hoffentlich nur das Inlett. Oder vielleicht auch ich. Meinen Zeltnachbarn hats offensichtlich mit einer Bronchitis erwischt - mir fehlt irgendwie Mitleid, ich frage mich nur, warum der sein Zelt so dicht neben meines stellen musste.
Es nieselt aufs Zeltdach - schon wieder. Vögel zwitschern hier auch wenn es regnet - na klar, sonst kämen sie ja praktisch nie dazu. Na gut, das ist ein bisschen unfair, hier in Patagonien wechselt das Wetter ständig. Das heißt dann aber auch viel Sonne, neben dem vielen Regen.

Lago Paine, Torres del Paine, Chile
Am Lago Paine: Grüne Wiesen, Margeriten, Schnee auf den Bergen, Sonne, Wolken und Regen im Sekundentakt
Und Schnee. Mir gruselt es jetzt noch beim Gedanken an Vorgestern, DEM Pass, ich alleine auf dem rutschigen Eisfeld.

Grey-Gletscher, Torres del Paine
Ansicht von wackligen Beinen: Der Grey-Gletscher nach dem John Gardner Pass im Torres del Paine
Die Schneewehen auf meinem eiskalten Gesicht.


Das bange Suchen nach der nächsten Markierung und die Angst vorm Absturz.

John Gardner Pass
Da gehts hoch: Erst klettern, dann ein steiles und leider sehr vereistes Schneefeld hinauf: Für 500 Meter ca. 2 Stunden.
Die darauf folgende eiskalte Nacht, in der ich dieses Angsterlebnis versuchte zu verarbeiten.

Mein Hirn blubbert, während ich wach werde. Heute ist ein kurzer Tag - so sagt man das, wenn man nur eine Strecke von dreieinhalb Stunden ins nächste Camp zu bewältigen hat.
Ich lasse mir Zeit beim Frühstück und versuche so, der Masse zu entgehen, die ab jetzt auf der populären W-Strecke des Torres del Paine unterwegs ist. Bis gestern war ich verwöhnt: Den "Circuito Grande", den ganzen Treck, gehen im Nationalpark die Wenigsten, immerhin etwa 120 Kilometer mit nicht unwesentlichen Höhen- und Tiefen inklusive widriger Wetterbedingungen, und das zeltenderweise. Die meisten lassen sich nur auf das berühmte "W" ein, eine sehr viel kürzere Strecke im vorderen Teil des Nationalparks, und mieten sich dann entweder ein Zelt oder sogar eine Bettenunterkunft, die es im hinteren Teil des Circuito Grande nicht gibt.

Auf dem Weg resümiere ich ein bisschen vor mich hin. Tag 6 ist schön - alles tut jetzt gleichmäßig weh und man kann anfangen, gezielte Muskelstränge zu trainieren, die bis dato zu kurz gekommen sind. Ich versuche heute mal, meinen Hintern knackiger zu kriegen, also nehme ich die glatten Bergaufstrecken mit den untersten Muskeln der Pobacken. Darling, Dein Knackarsch ist bald soweit.
Bergrunter freue ich mich über die neuen Muskeln, die über dem Knie gewachsen sind, die erstens diese hässlichen Kniefalten wegmachen und zweitens die Knie entlasten. Außerdem merke ich meine Trittsicherheit und hüpfe gefühlt wie ein junges Reh über die Bachläufe… nuja, realistischer wohl eher wie eine mittelalterliche Wildsau. In den Knien zwickt es ordentlich.

Torres del Paine, Valle de Francais, Backsite
Der Valle de Francais "von hinten" gesehen. Wie unglaublich es im vorderen Teil aussehen würde, ahnte ich hier noch nicht...
Dem erneut einsetzenden Nieselregen trotze ich ohne Regenjacke - nach 5 Tagen draußen frierts einen nicht mehr so schnell. Ich erinnere mich, dass ich nach dem vorletzten längeren Treck in der Berliner U-Bahn mit Unterhemd saß, weil mir so warm war, während die Leute um mich herum dicke Jacken trugen - ein komisches Phänomen, diese gefühlte Kälte. Dabei benötigen wir zum Überleben eigentlich alle das Gleiche.
Die Klamotten haben sich mittlerweile alle eingefummelt und ich muss nicht mehr ständig an mir rumzippern. Das Packen morgens geht fix - alles hat jetzt seine feste Reihenfolge. Ich liebe es, wenn sich alles so eingegrooved hat. Erst dies, dann das, nicht mehr groß denken, einfach tun.
Meine Ausrüstung ist großartig, ich kann mir selber auf den Rücken klopfen, die Erfahrung und meine peniblen Packlisten haben sich ausgezahlt. Nix zuviel, bisschen wenig essen allerdings, weil die Info, man könne unterwegs einkaufen, nicht ganz, nunja, korrekt war, es sei denn, man möchte sich mit Keksen und Nudeln ohne alles ernähren. Kein Brot oder Käse zum Frühstück, und ich hab nur für insgesamt sieben Tage Verpflegung dabei.
"Verpflegung" - was für ein bescheuertes Wort eigentlich… Woher kommt das denn? Muss ich mal googeln. Später mal.
Achja, die Ausrüstung: Mein Mercedes-Zelt, das Hilleberg Soulo, ist einfach der Hit. Steht bombenfest, ich kann morgens gemütlich die Zehen rausstrecken, und wenn ich kein Wasser holen muss, koche ich mir erstmal gleich zum Aufwachen einen Kaffee unter der perfekt konstruierten Apsis.

Frühstück im Zelt, Hilleberg Soulo
Zu verschlafen für die korrekte Blende bei Emma - aber der Kaffee schmeckt super.
Wasser. Kann ich hier aus jeden Bachlauf schöpfen, jedenfalls wenn nicht gerade ein Haufen Pferde reingekackt hat, wie am ersten Tag, an dem ich erst nach 5 Stunden an das nächste sichere Trinkwasser kam. Ja, tatsächlich lassen sich hier faule Touris von Pferden Wege entlang schleppen, die schon für einen Zweibeiner nicht ganz locker zu laufen sind. Das geht aber nur bis zum 2. Tag, danach wollen die irgendwie nicht mehr, die faulen Touris oder die Pferde, keine Ahnung.

Ach, der erste Campingplatz. Die leise Enttäuschung über diesen viel zu gepflegten, sauber umzäunten Platz.


An dem sich bis zum Abend ca. 12 Zelte einfinden sollten: die sehr unterhaltsame Gruppe der 6 Amis, mit denen ich an den meisten folgenden Abend zusammensitzen und darüber lamentieren sollte, dass es hier richtige Campingplätze mit warmen Duschen gab und sowieso alles Weicheier außer uns und so. Bruno, mein Hostelzimmergenosse aus Puerto Natales, der sich spontan und ohne Trekkingerfahrung zum großen Trek entschlossen hatte. Ein Schweizer Pärchen. Eine alleinreisende Israelin (Seltenheitswert! Israelis treten hier sonst nur in Gruppen auf). Und irgendein angeblich berühmter Argentinien-Guru mit seinen zwei männlichen Groupies, der mit irgendwelchen Über-Kopf-Yoga-Bewegungen versucht, bei alleinreisenden Frauen Eindruck zu schinden und mich andauernd fragt, ob ich Hilfe brauche. Worauf ich natürlich unheimlich abfahre. (Bei seiner x-ten Frage am 5. Abend, ob er mir beim Zeltaufbauen oder sonstigen Widrigkeiten helfen soll, jage ich ihn zum Teufel. Er findet das sehr unhöflich. Depp.)

Ich zieh mal meine Jacke aus, bin jetzt warmgelaufen. Mein langärmeliges Funktionshemd hat sich zwar bewährt, sieht aber ziemlich scheiße aus, stinkt super schnell und ist das Gegenteil von schnelltrocknend. War aber auch ne echt bescheuerte Idee, gerade am kältesten Abend einen Sauberkeitsfimmel zu kriegen.

Campamento Los Perros, Torres del Paine
Wäsche, Schuhe und Füße trocknen. Warmer Ofen als Luxus im Campamento Los Perros
Mein Hemd, was am Ofen so seltsam vor sich hinqualmte, gab aber immerhin Anlass zu einer weiteren wohligen Konversation. Ist das Leben nicht schön, wenn man sich nur noch Gedanken über trockene Klamotten, die eigene und fremde Verdauung, welches das beste Zelt ist (natürlich das eigene!) und die nächsten Höhenmeter machen muss?

Uuh, a propos Verdauung: Leider haben sie hier das Konzept vom anständigen Plumpsklo nicht übernommen, sondern versuchen, mitten in der Wildness-to-be ein Klo der ach-so-zivilisierten-Welt aufzubauen.

Campamento Paso, Torres del Paine
Nicht Euer Ernst! Oder doch? Klo im Campamento Paso
Was definitiv keine gute Idee ist. Aber immerhin fühlt es sich so ein bisschen mehr an wie im "wilden Patagonien". Ich fühle mich wild, weil ich dieses Klo tatsächlich benutzt habe, es war nämlich geschützt vor dem im wahrsten Sinne des Wortes arschkalten Wind.

Das Campamento Paso ist einer der ursprünglicheren Campingplätze, 10 Minuten vom grandiosen Ausblick auf den Gletscher.
Von wegen patagonische Wildnis: Das Refugio am Lago Dickson am 2. Tag war eindeutig beim allerersten Anblick ein Highlight.

Refugio Dickson, Torres del Paine
Das Refugio Dickson - unfassbar traumhaft gelegen. Der See ist übrigens ein Gletschersee und damit - KALT!
Refugio Dickson: Ausblick am Morgen.
A propos Highlight: Ich bin gespannt, ob meine Fotos vom Grey-Gletscher was geworden sind. Der Anblick am Morgen war atemberaubend, und erst da wurde mir bewusst, dass ich gerade einen Teil der drittgrößten Eismasse der Welt sehe - nach dem arktischen und antarktischen Eis. Pacha Mama dachte wohl, sie sei mir etwas schuldig nach der furchtbaren Pass-Überquerung.


Ich bin jetzt fast alleine, meine Rechnung ist aufgegangen: Viele sind schon vor mir weg, die Masse kommt mir noch nicht entgegen. Leider wird es den Touristen überlassen, ob sie das "W" von Osten nach Westen oder umgekehrt gehen, so dass es ständigen Gegenverkehr gibt.

Ab hier beginnt der Teil des Parks, in dem vor etwa einem Jahr ein großes Feuer gewütet und die meisten Bäume zerstört hat.

Überreste des großen Feuers im Torres del Paine
Überreste des großen Feuers vor einem Jahr im Nationalpark
Die Zeit vergeht, ich muss ständig Fotos machen, denn obwohl ich weiß, dass es makaber ist, hat mich diese skurrile Schönheit der verbrannten Bäume vor dem jetzt blauen Himmel und dem Gletscher unter mir gepackt.

Verbrannte Bäume im Torres del Paine
Skurrile Schönheit
Der Wind muss stark gewesen sein, denn die meisten Bäume stehen noch vollständig da, sie sind eben nur schwarz oder die Rinde ist komplett abgepellt. Der Boden beginnt sich jetzt wieder zu regenerieren, das Grün schaut überall heraus.


Ab und an muss ich nun warten, wenn mir mal wieder eine Gruppe trittunsicherer dickhäutiger Tagestouristen entgegenkommt, Rucksack vorne und hinten, keuchend, und mich fragt, wie lange es denn noch dauere.
"What? Oh, the hike, well, about 6 more days." Ungläubiges Gesicht von meinem Gegenüber. Doof lächeln, weitergehen.

Torres del Paine, Chile
Steile Leitern helfen beim Schluchten überwinden: Der blaue Rucksack im Bild macht die krassen Dimentionen deutlich.
Ich habe keine Lust, mich zu unterhalten. Ich möchte Natur erleben, und das möglichst alleine. Nein, ich bin nicht enttäuscht, das nicht. Das draußen Laufen ohne Verkehrslärm, tagelang, mit zwitschernden Vögeln und meinem Zelt am Rucksack reicht mir ja meist schon, um zufrieden zu sein.

Trekking im Torres del Paine
Das nicht mehr ganz so gut sitzende Haar am 6 Trekkingtag - dafür ein umso zufriedeneres Lächeln
Wunderschöne Ausblicke, die von mir geliebten Südbuchen, neue Herausforderungen, und das alles am anderen Ende der Welt machen mich natürlich glücklich.

Torres del Paine
Eine halbverrottete Südbuche, ein Lenga-Baum, saftiges Gras und seltsames Wetter: Unterwegs im Torres del Paine
Aber es ist hier nicht das wilde Patagonien, mit dem der Nationalpark für sich Werbung macht. Es ist auch nicht das "mit der Natur sein", dass ich sogar beim Schwarzcampen in Brandenburgs Wäldern spüre. Hier ist alles reglementiert, und wenn man sich doof anstellt oder Pech hat oder nur das "W" geht, muss man den Weg mit 100 anderen Leuten teilen und den Campingplatz sowieso.

Außerdem stoßen hier die zwei grundsätzlich zu unterscheidenden Trekkerwesen aufeinander: Der Kurztrekker würde niemals im Zelt übernachten, ist erpicht auf die "Highlights" und sieht den Weg dahin als nerviges in Kauf zu nehmendes Mühsal an, was er durch lautes Tratschen mit den Mitleidenden auszugleichen sucht, während der Langstreckentrekker den Weg als das Ziel sieht, das Laufen eher still genießt und sich generell an der Natur erfreut. Wenn diese beiden Charaktere aufeinanderstoßen, verträgt sich das meist nicht so gut. Klinge ich parteiisch? Ein bisschen? Aber nicht doch!

Aussicht auf den Gey-Gletscher. Pause im Torres del Paine.
Mittach. Gerne auch mal in Gesellschaft mit mittlerweile bekannten Gesichtern auf dem Trek.
Wildes Patagonien, ich warte noch auf Dich. Und auf dem berühmten Wind. Und auf das nächste Guanako sowieso.

Und jetzt bin ich da, im nächsten Camp. Morgen geht es weiter. Und ich weiß gar nicht, worüber ich so nachgedacht habe beim Laufen. Vermutlich mal wieder - über gar nichts.


TTT - TierischeTouriTipps:
Die tierischen Touri-Tipps wirds für den gesamten Park im zweiten Teil geben. Post folgt.

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